Ungewollter Vertragsschluss mit horrenden Kündigungsgebühren

Herr X begab sich zwecks Abschlusses eines Vertrags in eine Filiale von Anbieter Y und sah sich später mit einem nicht gewollten Vertrag inkl. Internet, Festnetz und TV konfrontiert. Herr X widerrief den Vertrag umgehend, woraufhin er vom Anbieter informiert wurde, dass ein Widerruf nicht möglich sei. Eine vorzeitige Kündigung sei mit immensen Kündigungsgebühren verbunden. Damit war Herr X nicht einverstanden. Vorliegend kam der Ombudsmann zum Schluss, dass kein Widerrufsrecht bestand, weil die Vertragsverhandlungen von Herrn X ausgingen. Der Ombudsmann hielt aber fest, dass Herr X bei Vertragsschluss wohl einem Grundlagenirrtum unterlag und den Vertrag anfechten konnte. Daher wurde vorgeschlagen, den unerwünschten Vertrag rückwirkend per Vertragsschluss aufzulösen und die bereits bezahlten Rechnungen Herrn X zurückzuerstatten.

SCHLICHTUNGSVORSCHLAG

Am 24. September 2021 leitete der Ombudsmann ein Schlichtungsverfahren zwischen den Parteien ein. In diesem Zusammenhang prüfte er die Eingabe des Kunden samt allen dazu übermittelten Dokumenten und forderte beim betroffenen Anbieter eine Stellungnahme ein. Nach Prüfung der Ausführungen der Parteien und der eingereichten Unterlagen unterbreitet der Ombudsmann den vorliegenden Schlichtungsvorschlag.

Der Schlichtungsvorschlag berücksichtigt sowohl die rechtlichen Bestimmungen, einzelne Argumente des Kunden als auch einzelne Argumente des Anbieters. Rechtliche Erörterungen werden - soweit notwendig - ebenfalls miteinbezogen. Im Rahmen dieses Schlichtungsverfahrens werden nur die wesentlichen Punkte des Schlichtungsbegehrens und der Stellungnahme des Anbieters berücksichtigt. Der Ombudsmann kann die Argumente der Parteien nicht wie in einem Gerichtsverfahren überprüfen.

A. AUSFÜHRUNGEN IM SCHLICHTUNGSBEGEHREN

Dem Schlichtungsbegehren von Herrn X wird Folgendes entnommen:

„Mit Schreiben vom 30.06.2021 habe ich den Vertrag vom 26.06.2021 schriftlich widerrufen, da ich keinen PC habe und der Informatik unkundig bin. (…)

Ziel: Annullierung des Vertrags und Rückerstattung des bezahlten Betrags.“

B. STELLUNGNAHME DES ANBIETERS

Der Anbieter reichte innert Frist keine Stellungnahme ein, weshalb der Ombudsmann seine Überlegungen hauptsächlich auf die vom Kunden eingereichten Unterlagen und Informationen stützen muss.

Der Anbieter ist an dieser Stelle auf die Mitwirkungspflicht am Schlichtungsverfahren gemäss Art. 47 Abs. 1 und 2 FDV hinzuweisen.

C. EINTRETENSVORAUSSETZUNGEN

Gemäss Art. 12c Abs. 1 des Fernmeldegesetzes (FMG / SR 784.10) und Art. 43 Abs. 1 der Verordnung über Fernmeldedienste (FDV / SR 787.101.1) kann die Schlichtungsstelle für Kommunikation bei zivilrechtlichen Streitigkeiten zwischen Kundinnen oder Kunden und Anbietern von Fernmelde- oder Mehrwertdiensten angerufen werden. Die weiteren Voraussetzungen zur Einleitung des Schlichtungsverfahrens sind in Art. 45 Abs. 2 FDV sowie Art. 8 des Verfahrens- und Gebührenreglements der Schlichtungsstelle für Kommunikation geregelt: Das Schlichtungsbegehren muss mit dem dafür vorgesehenen Formular eingereicht werden. Die einreichende Partei muss glaubhaft darlegen, dass sie mit der anderen Partei in der Regel während der letzten 12 Monate eine Lösung gesucht hat. Das Schlichtungsbegehren darf nicht offensichtlich missbräuchlich sein und es darf sich kein Gericht oder Schiedsgericht mit der Sache befassen oder befasst haben.

Die Schlichtungsstelle prüfte die eingereichten Unterlagen und konnte keine offensichtliche Missbräuchlichkeit gemäss Art. 45 Abs. 2 FDV feststellen.

Herr X tritt mit Schreiben vom 30. Juni 2021 vom Vertrag zurück. Er informiert, den Vertrag am 26. Juni 2021 in einer Filiale des Anbieters Y unterzeichnet zu haben. Er könne diesen aber nicht nutzen, da er der Informatik unkundig sei und keinen PC habe. Daher solle der Vertrag annulliert werden.

Mit Schreiben vom 5. Juli 2021 bittet der Anbieter Herrn X, sich telefonisch oder per Chat zu melden. Die Kündigungen würden nur noch so entgegengenommen.

Der Anbieter aktiviert die Dienste am 6. Juli 2021.

Ca. am 10. Juli 2021 ruft Herr X den Kundendienst an und erklärt sein Anliegen. Er habe ein GPS für seine zukünftige Arbeit erwerben wollen. In der Filiale seien ihm verschiedene Angebote auf einem Tablet unterbreitet worden, u.a. auch ein TV-Gerät. Herr X habe dankend abgelehnt und darauf hingewiesen, dass er bereits ein TV-Gerät habe. Er habe nicht die Möglichkeit gehabt, die Eingabe zu kontrollieren, da diese auf dem Tablet erfolgt sei. Herr X erhält anlässlich des Telefongesprächs die Information, dass eine Vertragsauflösung ca. CHF 3'000.- koste und nicht schriftlich, sondern mündlich zu erfolgen habe. Herr X erachtet das für nicht seriös.

Der Anbieter teilt Herrn X mit Schreiben vom 13. August 2021 mit, dass das TV-Gerät nicht zugestellt werden konnte. Herr X wird gebeten, sich telefonisch zu melden.

Herr X hat seinen Versuch zur Einigung mit Anbieter somit glaubhaft dargelegt. Da auch die weiteren Voraussetzungen zur Einleitung des Verfahrens erfüllt sind, ist der Ombudsmann zuständig, im Rahmen des Schlichtungsverfahrens zwischen den Parteien zu vermitteln.

D. ÜBERLEGUNGEN DES OMBUDSMANNS

1. Ausgangslage und Problemstellung

Im vorliegenden Schlichtungsverfahren geht es um die Frage, ob der Vertrag „A“ mit Internet, TV und Festnetz infolge Irrtums des Kunden aufgelöst werden sollte.

Der Ombudsmann prüft die Sach- und Rechtslage und stellt den Parteien einen Lösungsvorschlag zu.

2. Zur Streitigkeit

2.1 Allgemeines zum Vertragsschluss

Das Zustandekommen eines Vertrags setzt die gegenseitige übereinstimmende Willensäusserung voraus (Art. 1 Obligationenrecht / OR / SR 220). Zudem müssen sich die Parteien über alle wesentlichen Punkte des Vertrages einigen (Art. 2 Abs. 1 OR). Der Vertragsschluss darf schliesslich keinerlei Mängeln (Irrtum, absichtliche Täuschung, Furchterregung gemäss Art. 23 ff. OR) unterliegen. Von einem solchen Mangel (sog. Willensmangel) wird unter anderem gesprochen, wenn sich eine Partei über den Sachverhalt irrt, namentlich, weil sie eine falsche oder gar keine Vorstellung über den Sachverhalt hat. Ein solcher, rechtlich relevanter Irrtum liegt zum Beispiel vor, wenn der Irrende einen anderen oder gar keinen Vertrag abschliessen wollte (sogenannter Erklärungsirrtum), oder wenn der Irrende im Bewusstsein der wahren Sachlage den Vertrag nicht oder mit einem anderen Inhalt abgeschlossen hätte (sogenannter Grundlagenirrtum). Gemäss Artikel 23 OR ist der Vertrag für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befand. Ein Irrtum gilt als wesentlich, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass der Irrende bei Kenntnis des wahren Sachverhalts die Erklärung nicht oder nicht so abgegeben hätte.

Von der Anfechtbarkeit der Verträge infolge Irrtum ist der Widerruf eines Vertrags gemäss Art. 40a ff. OR zu unterscheiden. Diese gesetzliche Widerrufsmöglichkeit steht Konsumentinnen und Konsumenten bei Haustürgeschäften und ähnlichen Verträge zu. Für den Bereich der Telekommunikation bedeutet das, dass der Anbieter z.B. telefonisch oder zu Hause auf die Kundin oder den Kunden zwecks Vertragsschluss zugehen muss. Werden die Vertragsverhandlungen von Seiten der Kundin oder des Kunden angestrebt, indem bspw. der Anbieter angerufen oder in einer Filiale aufgesucht wird, besteht kein gesetzliches Widerrufsrecht. Die Möglichkeit, den Vertrag zu widerrufen, bestünde in solchen Fällen lediglich, wenn diese vertraglich festgehalten würde. Weder die Verträge noch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Anbieter sehen in der Regel eine solche Widerrufsmöglichkeit vor.

2.2 Im vorliegenden Fall

Der Anbieter äusserte sich nicht zur vorliegenden Streitigkeit, weshalb der Ombudsmann den Schlichtungsvorschlag einzig anhand der Äusserungen des Kunden, der von ihm eingereichten Unterlagen sowie der rechtlichen Begebenheiten ausarbeiten kann. Der Anbieter ist an dieser Stelle nochmals auf die Mitwirkungspflicht am Schlichtungsverfahren gemäss Art. 47 Abs. 1 und 2 FDV hinzuweisen.

Herrn X zufolge begab er sich zwecks Bezugs eines „GPS für zukünftige Arbeit“ am 26. Juni 2021 in eine Filiale des Anbieters. Vor Ort seien ihm verschiedene Angebote unterbreitet worden, u.a. auch ein Vertrag mit neuem TV-Gerät. Dieses Angebot habe er mit dem Vermerk abgelehnt, dass er zu Hause bereits ein TV-Gerät habe und deshalb kein neues benötige. Der Mitarbeiter habe die Angaben auf einem Tablet eingegeben, sodass Herr X keinen Überblick über die Eingaben gehabt habe. Daher habe er nicht gesehen, was er unterzeichnet habe. Zuletzt sah er sich mit dem Vertrag „A“ mit Internet, TV und Festnetz mit einer Vertragsdauer von 24 Monaten für monatlich CHF 100.- abzüglich eines Rabatts von CHF 21.- und dem TV-Gerät konfrontiert. Diesen Vertrag vom 26. Juni 2021 widerrief Herr X mit Schreiben vom 30. Juni 2021 und vermerkte, dass er das Angebot mangels Informatikkenntnis nicht nutzen könne. Ausserdem verfüge er über keinen Computer. Der Anbieter teilte dem Kunden am. 5. Juli 2021 mit, dass Kündigungen nur telefonisch oder per Chat erfolgen können und aktivierte die Dienste am 6. Juli 2021. Herr X rief ca. am 10. Juli 2021 den Kundendienst des Anbieters an und sei anlässlich dieses Gesprächs über Kündigungsgebühren in der Höhe von ca. CHF 3'000.- informiert worden. Damit ist Herr X nicht einverstanden.

Obwohl dem Ombudsmann nicht klar ist, was der Kunde unter „GPS für zukünftige Arbeit“ versteht, scheint aufgrund seiner Schilderungen klar zu sein, dass der ihm unterbreitete Vertrag „A“ mit Internet, TV und Festnetz nicht seinen Bedürfnissen entspricht. Herr X habe das kostenlose TV-Gerät sogar abgelehnt und dennoch sieht er sich nun mit dem entsprechenden Vertrag konfrontiert. Die Eingaben auf dem Tablet habe Herr X vor der Unterzeichnung nicht einsehen können, sodass er sich auf die vermutlich fehlerhaften Informationen des Mitarbeiters verlassen musste. Dass diese nicht korrekt gewesen sein dürften, liegt nahe, weil Herr X dem Vertrag bei Kenntnis über die Vertragsbestandteile kaum zugestimmt hätte. Denn er dürfte weder Bedarf für ein neues TV-Gerät noch einen Festnetz-, TV- und Internet-Vertrag gehabt haben. Der Ombudsmann erachtet es somit für wahrscheinlich, dass Herr X einem Grundlagenirrtum unterlag. Der Vertrag wurde von Herrn X mit Schreiben vom 30. Juni 2021 bereits bestritten. Die Wortwahl war zwar ungünstig gewählt, weil der Vertrag nicht widerrufen werden konnte. Herr X strebte die Vertragsverhandlungen gemäss seinen Schilderungen ja von sich aus an. Er tat mit besagtem Schreiben aber klar kund, dass er den Vertrag mangels Informatikkenntnissen und Computer nicht nutzen könne und dieser daher annulliert werden solle. Auch anlässlich des Gesprächs mit dem Kundendienst (ca. am 10. Juli 2021) habe er dem Anbieter seinen Irrtum mitgeteilt. Herr X scheint den Vertrag somit bereits angefochten zu haben, was zur Folge hat, dass dieser rückwirkend per Vertragsschuss für nichtig erklärt und rückabgewickelt wird. Das heisst, die Parteien werden so gestellt, als wäre der Vertrag nicht abgeschlossen worden. Der Anbieter wird daher die bereits bezahlten Rechnungen zurückerstatten und den Vertrag ohne Kostenfolgen auflösen. Das TV-Gerät konnte dem Kunden gemäss Schreiben vom 13. August 2021 nicht zugestellt werden, sodass sich eine Rückgabe des Geräts erübrigt.

Dieser Vorschlag beruht auf den Sachverhaltsdarstellungen des Kunden sowie den von ihm zugestellten Unterlagen und wird unter diesen Umständen für sachgerecht erachtet.

Sollte die Umsetzung dieses Schlichtungsvorschlags bereits vor der beidseitigen Unterzeichnung ganz oder teilweise erfolgt sein, so gilt die Vereinbarung in diesem Punkt als erfüllt. Diesbezügliche Rechte und Pflichten fallen dahin.

E. SCHLICHTUNGSVORSCHLAG

  1. Der Anbieter löst den Vertrag „A“ von Herrn X, Kundennummer xxxxxxxxxxxx, innert 20 Tagen nach Erhalt der Bestätigung über den erfolgreichen Abschluss des Schlichtungsverfahrens rückwirkend per Vertragsschluss vom 26. Juni 2021 ohne Kostenfolgen auf.
  2. Der Anbieter erstattet Herrn X innert 20 Tagen nach Erhalt der Bestätigung über den erfolgreichen Abschluss des Schlichtungsverfahrens sämtliche seit dem 26. Juni 2021 auf das Kundenkonto Nr. xxxxxxxxxxxx getätigte Einzahlungen auf das in Ziffer E. 4 angegebene Bankkonto zurück.
  3. Die Parteien nehmen zur Kenntnis, dass das TV-Gerät Herrn X nicht zugestellt werden konnte und sich somit eine Rückgabe durch Herrn X erübrigt.
  4. Herr X gibt dem Ombudsmann bei der Retournierung des unterzeichneten Schlichtungsvorschlages seine Bankangaben bekannt:

Name und Adresse des Kontoinhabers:

Name und Adresse der Bank:

Clearing:

IBAN:

SWIFT/BIC Code:

  1. Nach Erfüllung von Ziffer E.1 bis E.4 des Schlichtungsvorschlags erklären sich die Parteien per saldo aller Ansprüche auseinandergesetzt.
  2. Dieser Schlichtungsvorschlag wird von beiden Parteien freiwillig und ohne Schuldeingeständnis angenommen.

Bern, 13. Oktober 2021

Dr. Oliver Sidler, Ombudsmann

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